Hamburger Abendblatt - Magazin Ausgabe 45/2009 Sonnabend / Sonntag, 7. / 8. November 2009
Jens Meyer-Odewald trifft Frank RostMit Ecken und KantenBälle halten ist sein Job, den Mund nicht zu halten, seine Freiheit. HSV-Torwart Frank Rost gehörte vor dem Mauerfall zur Elite des DDR Jugendsports. 20 Jahre später spricht er offen über Wessis, Westerwelle und die Wende.
Nicht nur die gegnerischen Angriffsspieler haben einen Höllenrespekt: Wenn HSV-Torwart Frank Rost so richtig zur Sache geht, ist nicht selten Schluss mit lustig. Der gebürtige Sachse, geprägt von Ecken und Kanten, pflegt einen schnörkellosen Stil. Nicht nur zur Freude der Führungsspitze des Vereins – wie offene Worte zur gescheiterten Personalposse des neuen Sportchefs oder mutige Kritik an Auswüchsen des Profifußballs unlängt bewiesen haben. Einer der besten deutschen Schlussmänner, so die Erkenntnis, setzt seinen Kopf überwiegend außerhalb des Stadions ein. Wenn er sich zu Wort meldet, hat alles Hand und Fuß. Intern genießt die Persönlichkeit mit der Nummer eins auf dem Rücken hohe Wertschätzung – auch als Mitglied des Mannschaftsrates. Ob der Tugend, das Runde möglichst selten ins Eckige zu lassen, mehr noch wegen des Mumms, verbal in die Offensive zu gehen. Das Credo des groß gewachsenen Torwarts: „Ich bin kein Befehlsempfänger!“ Und: „Ich lasse mich nicht verbiegen.“ Privat ist Rost ein offenherziger Mensch, der zum Lachen nicht in den Keller geht. Wenn er in seinem Nienstedtener Haus hinabsteigt, dann um inbrünstig seinem kleinen Hobby zu frönen: Der 36-jährige Berufsspieler hat ein Herz für Modelleisenbahnen, selbst modellierte Landschaften und schnelle Züge. Zeit bleibt selten, denn neben dem Profialltag studiert Frank Rost Betriebswirtschaft. Ziel ist es, nach der Karriere im Sportmanagement Fuß zu fassen. Warum nicht in der Bundesliga? Und warum nicht beim HSV?
MAGAZIN: Herr Rost, neulich rief Sie Ihr Mitspieler Collin
Benjamin überraschend auf dem Handy an. Verraten
Sie, was er wollte?
ROST: Collin saß gerade bei seinem Einbürgerungstest.
Eine Frage darin war nach den Ereignissen im Jahr
1953. Das habe irgendwas mit der DDR zu tun, vermutete
er. Also rief er mich an.
MAGAZIN: Gut, nun weiß auch Herr Benjamin von der
Bedeutung des 17. Juni. Sind deutsche Einheit und
Mauerfall überhaupt Themen in der Kabine?
ROST: In der Kabine nicht unbedingt, aber sonst durchaus.
Natürlich wird auch viel gefrotzelt. Von wegen
Ossi und Wessi und so. Dabei ist allerdings die öffentliche
Darstellung nicht besonders hilfreich: Es
existieren in den neuen Bundesländern wahrlich
nicht nur Hooligans und Rechtsradikale.
MAGAZIN: Und der Mauerfall?
ROST: Speziell Collin Benjamin, aber auch viele andere
meiner Kollegen sind intelligente Jungs. Politisches
Interesse gehört dazu. Allerdings haben die jungen
Leute kaum noch Berührungspunkte zur Teilung und
Einheit Deutschlands. Für sie ist der Mauerfall doch
schon Geschichte. Das ist im
MAGAZIN: Sie waren seinerzeit 16 Jahre alt, standen im
Kader der Junioren-Nationalmannschaft und waren
somit ein Aushängeschild der DDR-Sportförderung.
Wie haben Sie den 9. November 1989 erlebt?
ROST: Diese Tage in Leipzig waren eine Mischung zuerst
aus großer Euphorie und später doch auch größer
werdenden Fragezeichen. Wie würde es weitergehen?
Die Ungewissheit war groß. Ich selbst bin damals
auf die Kinder- und Jugendsportschule gegangen.
Diese Schule war praktisch um den Sport herum
gebaut, als eine Art Lebensschule. Wir haben eine
gute Ausbildung genossen. Hart, aber herzlich. Und
sind nicht jetzt auch wieder Eliteschulen angesagt?
So weit auseinander liegt man da nicht. Bei einem
Klassentreffen jüngst zeigte sich, dass alle ehemaligen
Mitschüler Topberufe haben und gestandene
Persönlichkeiten geworden sind. Auch ich habe in
meiner Karriere von dieser Ausbildung in der DDR
profitieren können. Man darf da keine Scheuklappen
haben: Jedes System hat seine Vor- und Nachteile.
Auch wenn das im Westen nicht jeder hören will …
MAGAZIN: Ihre Eltern ChristinaundPeterhabenals große
Handballer, Weltmeister und Olympiasieger auch für
die DDR gespielt. Haben Sie mit ihnen über den Weg
zur Einheit gesprochen?
ROST: Natürlich, sehr oft sogar. Wichtiger Gesprächspartner
in den aufwühlenden Tagen damals war aber
auch mein Großvater. Leider ist er vor vier Jahren
verstorben. Er hat in seinem Dasein so ziemlich alles
mitgemacht: zwei Weltkriege, Inflation, Hungersnöte,
politische Wenden. Ein deutsches Leben im vergangenen
Jahrhundert eben. Er zog daraus seinen
persönlichen Schluss, dass esimmerirgendwieweiter
geht. Das mag simpel klingen, es steckt jedoch eine
Menge Wahrheit dahinter. Wir haben uns oft und intensiv
unterhalten. Klar, wir hatten kein Bunt-Fernsehen
und keine Designer-Jeans. Not aber macht erfinderisch.
Außerdem ist Materielles nicht alles.
MAGAZIN: Keine Frage. Andererseits stinkt Geld nicht.
ROST: Ganz bestimmt nicht. Natürlich habe ich persönlich
von der Wende profitiert. Nicht nur materiell.
Aber aus meiner wertkonservativen Sicht ist es nicht
akzeptabel, dass das Motto „Geld regiert die Welt“ Allgemeingültigkeit
besitzt. Wer nur in Geld-Kategorien
denkt, ist ein armer Wicht. Ich schätze Werte wie Liebe,
Loyalität, Ehrlichkeit, Solidarität und Toleranz
einfach höher ein.
MAGAZIN: Sie gelten in der Mannschaft sowie im Freundeskreis
als nachdenklicher Mann, der den Mund aufmacht,
wenn andere kuschen. Fühlen Sie sich eigentlich
immer noch als Ossi? Oder ist das passé?
ROST: Man muss kein Ossi sein, um gewisse Entwicklungen
zu hinterfragen. Und zum Ossi generell: Ich
gehe damit entspannt um und weigere mich, in solchen
Kategorien zu denken. Ich finde es nur furchtbar,
wenn Leute sich superschlau über ein System
äußern, das sie überhaupt nicht mitgemacht haben.
Mir braucht keiner etwas über die DDR-Justiz zu erzählen.
Ich habe einen Freund, der zwei Jahre in
Bautzen hinter Gittern saß. Die Erfahrung der letzten
zwanzig Jahre zeigt mir nur leider wieder einmal, wie
schwer es ist, sensibel, gerecht und differenziert mit
Geschichte umzugehen. Exemplarisch sei die Arbeit
der Gauck-Behörde genannt. Meiner Meinung nach
ist es an der Zeit, mehr an die Zukunft zu denken, statt
in der Vergangenheit zu verharren.
MAGAZIN: Ist für Sie der 3. Oktober ein Feiertag?
ROST: Ich schätze den 9.November in seiner Wertigkeit
höher ein. Da haben die Menschen gezeigt, dass sie
sich nicht alles gefallen lassen, dass sie irgendwann
die Schnauze voll haben. Übrigens, das nur am Rande,
sie haben damals gerufen: „Wir sind das Volk!“ Und
nicht: „Wir sind ein Volk!“ Diese Volksbewegung vor
20 Jahren sollten sich Politiker immer mal wieder zu
Gemüte führen. Sonst passiert es, dass irgendwann
wieder unzufriedene Menschen auf die Straße gehen.
MAGAZIN: Das klingt wie eine Mahnung.
ROST: Ganz und gar nicht. Ich meine nur, dass Ärger
kriegen muss, wer Freiheit beschneidet. Sie ist ein
höchst erstrebenswertes Gut, das hart erkämpft
wurde. Und Kritik ist ein wesentlicher Bestandteil
unseres Systems – vor allem, wenn die Werte der
Demokratie mit Füßen getreten werden. Ja – man
muss für seine Überzeugungen eintreten.Dabei sollte
man sich allerdings immer an Form und Ton halten.
Das ist jedenfalls mein Prinzip.
MAGAZIN: In der Mannschaft heißt es, dass Sie ruhig
und höflich, jedoch sehr bestimmt auftreten. Auch Ihre
direkte Kritik an den Auswüchsen des Profifußballs
ist unvergessen. Sehen Sie auch politische Mangelerscheinungen?
ROST: Meiner Meinung nach hat es die Masse der
führenden deutschen Politiker nicht geschafft, sich
einen zweifelfsreien Ruf zu erwerben. Ein Minister ist
Diener des Volkes – nicht umgekehrt.
MAGAZIN: Nun haben Sie zwar den Ruf als kritischer, aber
dennoch als positiver Mensch. So regten Sie im Mannschaftsbus
jüngst ihre Mitspieler an, nicht nur mit
iPod vor Augen oder Knöpfchen im Ohr vor sich hinzudämmern,
sondern zu kommunizieren. Hat’s geholfen?
ROST: Niemand hat sich verweigert. Das war für alle
eine gute Erfahrung. Manchmal bedarf es nur eines
Anstoßes. Das ist im Profifußball nicht anders als in
der Gesellschaft.
MAGAZIN: Wer Sie kennt, weiß genau, dass Sie wahrlich
kein Revolutionär sind.
ROST: Totaler Quatsch! Ich bin alles andere als ein
linker Vogel – ganz im Gegenteil. Aber wer Probleme
direkt und offen anspricht, wird leicht in eine
Schublade gesteckt.
MAGAZIN: Okay, denken wir also konstruktiv. Welchem
Politiker hierzulande trauen Sie?
ROST: Münte halte ich für eine ehrliche Haut. Auch
der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg ist
eine Persönlichkeit, der sich durch sein Handeln von
der Masse abhebt. Hoffentlich bewahrt er sich dieses
in der alltäglichen Politikmühle.
MAGAZIN: Ist es indiskret, nach Ihrem Kreuz bei der Bundestagswahl
zu fragen?
ROST: Indiskret ist es schon, aber ich habe keine Probleme
mit der Antwort: Ich habe diesmal FDP gewählt.
Wenn Westerwelle nur zehn Prozent seiner Ankündigungen
umsetzt, ist schon viel erreicht. Ich hoffe, dass
er sich durchsetzt. Wenn ich zum Beispiel an die geplante
Steuervereinfachung und an die Einstellung
der FDP zum Datenschutz denke.
MAGAZIN: Sie sagten kürzlich mal intern, in Deutschland
gäbe es zwar keine Grenze mehr, dafür jedoch Barrieren.
Meinen Sie damit eine Hürde zwischen neuen und
alten Bundesländern?
ROST: Ich bin nicht Träumer, sondern Realist. Nach
der Wende wurde vieles richtig, aber auch manches
falsch gemacht. Immer noch gibt es unterschiedliche
Gehälter, verschieden hohe Arbeitslosenzahlen, getrennte
Hochrechnungen. Ich befürchte, dass es
weitere zwei Jahrzehnte dauert, bis diese Barrieren
komplett verschwunden sind.MAGAZIN: Damit sind wir zum Schluss dann ja doch noch bei den Linken gelandet. Stehen dann auch alte SED-Funktionäre im Abseits, die heute unter anderem Mäntelchen firmieren?ROST: Ich habe ja gerade gesagt, wen ich gewählt habe. Das ändert nichts daran, dass beispielsweise Gregor Gysi ein Mann mit Charisma und rhetorischen Fähigkeiten ist. Er spricht viele Menschen im Osten an. Die Leute dort sind schlicht frustriert. Wo gibt es im Osten denn Perspektiven? Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Firmenzentralen sitzen zumeist im Westen. Wir brauchen mehr Chancen für alle, besonders Anreize für Kleinunternehmen bis hin zum Mittelstand. Wenn der 9. November Anlass ist, über diese Probleme nachzudenken, ist schon ein bisschen gewonnen.
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Interviews
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